1958 – 12. März 2017
Liebe Margot, liebe Familie, liebe Freunde; lieber Jean-Jacques!
Wenn wir einen lieben Menschen verlieren, so sagen wir, wir werden ihn vermissen, er wird uns fehlen. Und dann vielleicht: warum werden wir ihn vermissen? Was wird uns an ihm fehlen?
Ich habe mir, seit wir die traurige Nachricht erhalten haben, diese Fragen immer wieder gestellt: was war es, warum wir Jean-Jacques so sehr vermissen werden; was wird uns fehlen, seit er nicht mehr unter uns ist; was hat den Menschen, den Freund Jean-Jacques ausgemacht. Für mich sind es vier Attribute, vier Eigenschaften, die bei alldem, was wir alle mit Jean-Jacques verbinden mögen, letztlich übergeblieben sind, und die für mich den Regisseur, den Menschen, den Freund Jean-Jacques ausgemacht haben: Phantasie, Bescheidenheit, Respekt und Liebe.
Ideen haben viele, Phantasie die wenigsten, hat einmal ein kluger Mann gesagt. Ideen, ja, du hast, wenn du ein Stück, eine Nummer inszeniert hast, hunderte, ja tausende Ideen gehabt – aber genau so schauen auch manche Theaterinszenierungen von heute aus, ein phantasieloses Sammelsurium von Ideen, wo hint‘ und vorn nichts mehr zusammenpasst. Du, lieber Jacquis, du hattest nicht nur Ideen – du hattest Phantasie! Vor deinem geistigen Auge hat sich ein Stück bereits mit Leben erfüllt, während wir Schauspieler noch mit der Frage beschäftigt waren, wie komm‘ ich von A nach B, ohne dass das Publikum denkt, ja, wohl weil‘s der Regisseur so gesagt hat. Es muss passen, war deine Maxime – jedes noch so kleine Detail musste seinen Sinn haben in dem großen Ganzen. Und dafür warst du auch offen: es gibt zwei Möglichkeiten, hast du immer gesagt, wenn wir mit der ersten nicht zurechtkamen. Und so manche Idee von uns Darstellern hast du, wenn sie dir gefallen hat, mit einem herzhaften „Gekauft“ kommentiert. Ja, Ideen gibt es viele – aber mit deiner Phantasie ist es gelungen, auch die rechte Atmosphäre zu schaffen, in denen die Ideen gedeihen können, und auch glaubhaft und authentisch aufs Publikum wirken.
Und wie haben wir uns gefreut, wenn wir uns unseren Applaus abholen konnten, wenn unsere Pointen mit den erwarteten Lachern belohnt wurden – da bist du oben am Balkon gesessen und hast dich still mitgefreut. Meine Arbeit ist beendet, hast du am Abend der Generalprobe gesagt, jetzt seid ihr dran. Als wir nach Fotos für die Zeitung gesucht haben, ist uns erst aufgefallen, wie wenig du in all den Jahren Fotomotiv warst – da hinten steht der Jacquis, hat da meine Frau oft gesagt, versteckt hinter den Ehrengästen und Senatoren. Nein, du hast dich nie vorgedrängt, du selbst warst dir nicht wichtig. Wichtig war dir deine Arbeit, wichtig war dir, dass deine Arbeit, so wie du es dir in deiner Phantasie vorgestellt hast, umgesetzt wird, im Sinne des Großen Ganzen. Es geht nicht um mich, es geht um die Gilde, hast du immer wieder gesagt, wenn das von uns manchmal nicht verstanden wurde, nicht der Regisseur steht im Vordergrund, sondern der Erfolg und die Anerkennung für die ganze Gilde!
Nur am Ende der Gerüchte, bei der großen Verabschiedung, da hast auch du dir deinen Applaus abgeholt. Und es war eine wunderbare Geste von Gertschi, unserem heurigen Bühnen-Winnetou, dir am letzten Gerüchtstag seine selbstgeschnitzte Silberbüchse zu schenken – wissend, dass gerade du mit dem Winnetou-Mythos aufs Engste verbunden warst und du diese Nummer mit ganz besonderer Freude inszeniert hast. Dieses Bild wird in der kommenden Gildenzeitung den Gerüchte-Bilderreigen abschließen – unvorstellbar, dass diese Verabschiedung deine allerletzte, dass der Applaus dieses Abends dein letzter sein sollte.
Bei allem Respekt – auch das war einer deiner Standardsprüche. Bei allem Respekt, wenn du auch einmal deiner Meinung Gehör verschaffen wolltest. Bei allem Respekt, auch in Konfrontationen, nie vergessend, dass jedes Gegenüber zunächst einmal Respekt verdient. Bei allem Respekt aber auch in der täglichen, der alltäglichen Probenarbeit. Wenn es für dich passt, so sagtest du, wenn du eine neue Idee hattest – wenn es für dich passt – wenn nicht, dann gibt es – genau – dann gibt es zwei Möglichkeiten! Oder – wenn es für den Autor passt, wenn es eine Textpassage zu verändern galt. Bei allem Respekt – gerade wir zwei hatten, vor allem in den Anfangsjahren, so manchen Disput. Hie Autor, da Regisseur – da konnten schon einmal die Funken sprühen. Es ist meiner Frau, als Regieassistentin so quasi die Frau zwischen zwei Männern, zu danken, die dann zwischen uns vermittelt hat – es hat auch für mich einige Zeit gebraucht zu erkennen, dass ich mit meinen Texten bei dir, meinem Regisseur, gut aufgehoben bin, dass ich mich verlassen kann auf deine Phantasie, deine Bescheidenheit und deinen Respekt.
Und auf deine Liebe – zu deinem Beruf, der deine Berufung war – zu deiner Liebe zur Bühne, zum Theater. Gewiss, wir sind deshalb kein Theaterverein – aber diese Liebe zur Bühne, die Liebe zum Theater, die hast du uns zu vermitteln versucht. Und so wie jedes Theater, wie jede Bühne, so haben auch wir als Gilde Abend für Abend Menschen unterhalten, und manchmal – ich denke etwa an deine wunderbare Pantomime vor ein paar Jahren – regelrecht verzaubert. Bei euch, so höre ich oft, bei euch kann ich die Sorgen und Probleme des Alltags vergessen, bei euch kann ich einfach abschalten und lachen.
Wenn ich auf diese vielen Rosen schaue, die wir alle gemeinsam zu einem großen Herzen gestaltet haben, dann stehen die Rosen für jeden einzelnen, denen du deinen Respekt, deine Freundschaft, deine Zuneigung, deine Liebe geschenkt hast. Und die sich vereinen zu einem großen Herzen, so wie du ein großes Herz gehabt hast. Und da erfüllt es mit Trauer, dass gerade dieses große Herz so plötzlich und so schmerzlich aufgehört hat zu schlagen.
Du hast noch so viel vorgehabt. Wir haben bereits für die nächste Saison geplant, bereits überlegt, wie wir Probleme der heurigen Saison in Zukunft vermeiden können, wie wir vielleicht noch ein bissl besser werden können. Es wird schwer werden ohne dich. Ich weiß, in deiner Bescheidenheit wirst du jetzt sicher meinen, es geht doch nicht um mich, es geht um die Gilde! Aber bei allem Respekt, lieber Jacquis, wir werden dich vermissen – als Regisseur, als Freund, als Mensch! Was aber bleibt, das lässt sich in vier Worten ausdrücken: Phantasie, Bescheidenheit, Respekt und Liebe!
Danke Jean-Jacques!